T: Walther von der Vogelweide (ca. 1170-1230)
Manessische Liederhandschrift", Anfang 14. Jahrhundert, Heidelberg cpg 848
M: Kontrafaktur auf die Melodie des Liedes En mai au dous tens novel" eines anonymen Trouvéres, Handschrift 13. Jahrhundert, Paris 5198, HS 2. Hälfte 13. Jahrhundert, Paris nouv.acq.fr.1050
(Schweinskopfpsalter, Fingerzimbeln, Tenorblockflöte; Gesang: Martina Noichl)
Weder die Herkunft noch die Abstammung des bedeutendsten Dichters des deutschen Mittelalters sind bekannt. Aus seinen Liedern wissen wir, daß er ein fahrender Berufssänger war, der viele Jahre am Wiener Hof der Babenberger verbrachte. Aus historischen Quellen läßt sich die Popularität seiner Lieder und deren große politische Bedeutung ablesen.
Neben den rund 140 politischen, religiösen und didaktischen Sangspruchstrophen schrieb Walther auch über 70 mehrstrophige Lieder - überwiegend zum Thema "Liebe", in denen er der Theorie der "Hohen Minne" (Ritter wirbt um die Frau, doch sie darf ihn nicht erhören.) oftmals die Idee der erfüllten Liebe zweier Gleichberechtigter gegenüberstellt.
'Under der linden an der heide, dâ unser zweier bette was, dâ muget ir vinden schône beide gebrochen bluomen unde gras. Vor dem walde in einem tal, tandaradei, schône sanc diu nahtegal. |
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Ich kam gegangen zuo der ouwe: dô was mîn friedel komen ê. Dâ ward ich empfangen, hêre frouwe, daz ich bin saelic iemer mê. Kuster mich? wol tûsentstunt: tandaradei, seht wie rôt mir ist der munt. | Ich kam gegangen zu der Wiese: Mein Geliebter war schon vor mir da. Und so begrüßte er mich - Heilige Jungfrau! - daß ich darüber für immer glücklich bin. Ob er mich küßte? Sicherlich tausendmal: tandaradei, seht, wie rot mein Mund ist. | |
Dô het er gemachet alsô rîche von bluomen eine bettestat. Des wirt noch gelachet inneclîche, kumt iemen an daz selbe pfat. Bî den rôsen er wol mac, tandaradei, merken wâ mirz houbet lac. | Er hatte aus Blumen ein herrliches Bett (für uns) hergerichtet. Darüber wird sich jeder von Herzen freuen, der dort vorübergeht. An den Rosen kann er noch gut, tandaradei, erkennen, wo mein Kopf gelegen ist. | |
Daz er bî mir laege, wessez iemen (nu enwelle got!), sô schamt ich mich. Wes er mit mir pflaege, niemer niemen bevinde daz, wan er und ich. Und ein kleinez vogellîn: tandaradei, daz mac wol getriuwe sîn. | Daß er mit mir schlief, wüßte das jemand (nein, bei Gott!), dann schämte ich mich. Was er mit mir tat, niemand jemals soll das wissen außer ihm und mir - und jenem kleinen Vogel: tandaradei, der wird sicherlich verschwiegen sein. |
Ein Mädchen erinnert sich an die herrliche Nacht, die sie verbotenerweise bei Nachtigallengesang mit ihrem Geliebten unter einer Linde verbrachte. Die Gefahren für die Liebenden waren durchaus gegeben: Dem Mädchen drohte der zwangsweise Eintritt ins Kloster, für den Burschen konnte es gar letal enden.